Es sollte eine besondere Reise werden. Unter Segeln zu Vulkanen, die Feuer spucken, die nachts das rote Lava aus ihrem Innersten quetschen. Die Wahl fiel auf die Liparischen Inseln, auch als Äolische Inseln bekannt. Ein Paradies, das sich nördlich von Sizilien aus dem Mittelmeer erhebt. Wir wollten Abenteuer erleben. Aber es hätte nicht gleich in Tegel beginnen müssen.
1. Tag
Eine bleischwere Wolkendecke liegt über Deutschland. Dauerregen. Auf Sizilien, das verspricht der Wetterbericht, strahlt dagegen die Sonne. Unsere Gesichter strahlen auch. Doch die Vorfreude vergeht bereits am Check-in-Schalter. Rene’s Hai-Angel hat Überlänge. 70 Euro pro Flug verlangt die Airline für den Transport. Doch der Mitarbeiter am Schalter gibt uns einen Tipp: Bindet die Angel an einen Koffer und gebt sie dann als Sperrgepäck auf. Das kostet nichts extra, sagt es und reicht uns mehrere Kabelbinder. Die Angeln werden an Sabines Reisetasche gezurrt. Der Sperrgepäckschalter nimmt das Gebinde tatsächlich ohne Kommentar entgegen. Ich habe die Vorahnung, dass wir Koffer und Angel nicht mehr wiedersehen werden.
Ich sollte Recht behalten. In Catania fahren alle Koffer auf dem Band, außer Sabines. Lost and Found stellt eine Verlustanzeige aus. Wir nehmen uns ein Taxi und überreden den Fahrer einen Supermarkt anzusteuern. Noch ahnt er nicht, dass wir zu einem Großeinkauf ausschwärmen. Nach mehr als einer Stunde sind drei Einkaufswagen und unzählige Tüten gefüllt. Über zwei Stunden sitzen wir eingekeilt zwischen den Lebensmitteln im Kleinbus. Gegen 23 Uhr kommen wir endlich in Portorosa an. Schnell ergießt sich ein großer Haufen aus Koffern, Taschen und Proviant auf dem Bürgersteig. Alles muss zum Schiff geschleppt werden. Der Weg führt durch eine Gasse und noch ein Stück am Kai entlang. Dann sehen wir unsere Yacht, die „Giorgina“, eine Bavaria 50. Ein junges Schiff, das aber schon einiges erlebt zu haben scheint. Das erzählen die Blessuren. An beiden Heckseiten sind die Klüsen abgerissen. Gegen Mitternacht ist alles verstaut.
Immerhin: Die sizilianische Nacht ist angenehm warm und entschädigt für die Strapazen. Aus einem nahen Restaurant wummert laute Musik.
2. Tag
Der Tag beginnt mit strahlendem Sonnenschein. Wir kochen Krümelkaffee. 35°C im Schatten. Kleine Knotenkunde für die Mannschaft. Duschen in der Marina, baden im Meer und nochmals duschen. Bines Koffer hat sich noch nicht angefunden. Lost and Found Catania und auch die Lufthansa sind telefonisch nicht erreichbar. Bis morgen wollen wir noch warten. Wir machen uns mit dem Schiff vertraut und segeln einen kleinen Schlag.
3. Tag
Bines Koffer wurde in Frankfurt gefunden und kommt heute nach Catania, sagt die Lufthansa. Sabine freut sich, dass sie die warme Reisegarderobe bald tauschen kann. Gut, wenn man Freunde hat, die einem etwas borgen. Angela spendet ein Oberteil, Jürgen ein T-Shirt und Simone einen Rock. Das muss vorerst reichen. Heute sollte es nach Vulcano gehen. Nun wollen wir doch noch warten. „Koffer” und “Angel” werden zu Reizwörtern.
4. Tag
Ausgedehntes Frühstück. Klar Schiff. Die Tanks schlucken Unmengen Süßwasser. Lost and Found Catania meldet, dass der Koffer unterwegs ist. Richtig glauben kann das keiner mehr. Halb drei, der Koffer steht am Straßenrand. Wie lange schon, weiß niemand. Rene’s Angeln sind weg. Wir legen ab und segeln nach Vulcano. An einem Schwimmsteg machen wir fest. Die Mole für die Schnellboote befindet sich 200 m weiter nördlich. Abendessen gibt’s in einer Pizzeria.
5. Tag
Wir stehen früh auf und wandern zum „Grand Cratere“ (391 m). Wir machen einen Teilrundgang und bestaunen die Fumarolen, die beißende Schwefeldämpfe ausstoßen. Schilder warnen vor Lebensgefahr. Der mutige Teil der Mannschaft steigt durch das Geröllfeld ab. Die Dämpfe sind giftig, die Ablagerungen schmierig und ätzend. Man kann sehr leicht darauf ausrutschen. Touri-Fähren kommen im Minutentakt. Um 12 Uhr halten wir den Lärm nicht mehr aus und flüchten in Richtung Stromboli. Gegen 18 Uhr befinden wir uns auf Höhe Panarea und wollen ankern. Der Meeresgrund ist mit Seegras bewachsen. Erst beim vierten Versuch hält das Grundeisen. Das Abendbrot, Spaghetti „Sizilianische Art“, gibt’s an Bord.
6. Tag
10 Uhr. Wir nehmen Kurs auf Stromboli. Gegen 13 Uhr haben wir San Vincenzo erreicht. Zu spät. Alle geeigneten Ankerplätze sind belegt. Sonnenstrahlen brechen sich im kristallklaren Meer. Die Sichtweite beträgt etwa 30 m. Tiefer ist alles nur noch dunkelblau. Wir versuchen dennoch zu ankern. Meter um Meter leiert die Winsch die Ankerkette herunter. Zu langsam, durch Wind und Strömung driften wir ab. Die Winschbremse muss gelöst werden, damit die Ankerkette ausrauschen kann. Beim dritten Versuch, die Ankerkette rauscht abwärts, macht es plop und das letzte Kettenglied springt vom Bugbeschlag ins Wasser. Schlängelnd strebt die Kette dem Meeresblau entgegen. Für eine einige Zeit sind wir fassungslos.
Kann die Segeltour ohne Hauptanker fortgeführt werden? Ist es das Ende unseres Törns? Eine übergroße Hornisse nutzt die Verwirrung und will das Schiff entern. Sie wird verscheucht. Um manöverfähig zu sein, schlagen wir den Hilfsanker an und gehen an die für Fähren reservierte Mole. Der Hafenmeister schreit unverständliche Worte und fuchtelt wild mit den Armen als ob er ebenfalls eine Hornisse verjagt. Dann will er uns den Festmacher entreißen. Von der Seeseite greifen Fischkutter in das Geschehen ein. Die Lage eskaliert. Wir stellen uns taub und versuchen die Situation zu erklären. Im Schwell der im Minutentakt anlanden Fähren tanzt Giorgina wie ein Tennisball. Ohrenbetäubend laute Musik dröhnt herüber und mehrere Hundertschaften Touristen strömen aus dem Bauch der Fähre an Land. Das ehemals kristallklare Wasser verwandelt sich in eine ölig braune Brühe.
Ein junger, muskulöser Italiener, spricht uns an der Mole an. Gegen Bezahlung will er den Anker heben. Wir machen die Mole frei und fahren zum Tatort. Bloß, wo genau war dieser? Der Taucher, macht aus seinem Zodiak eine professionelle Rolle rückwärts. Das überzeugt uns und lässt hoffen. Luftblasen zeichnen seinen Weg. Angela schnorchelt mutig im quallenreichen Wasser hinterher. Da liegt der Anker, ruft sie. Doch dieser hängt an einer anderen Yacht. Unser Anker bleibt unauffindbar. Der Taucher kommt hoch und gibt zu verstehen, dass seine Tauchzeit vorbei ist.
Wir gehen wieder an die Mole. Man kennt uns nun schon, das Palaver fällt diesmal aus. Die Taucher bringen eine 50 m lange Ersatzkette. Doch die 8 mm Kette ist für unsere 10 mm Ankerwinsch zu klein. Weil wir über Nacht nicht an der Mole bleiben dürfen, bietet uns die Tauchbasis eine Boje an. Etwas später kommt ein Schlauchboot. Der Anker wurde gefunden, er soll morgen früh geborgen werden.
Abends setzen wir mit dem Dingi nach San Vincenzo über. Am Ufer liegen runde, schwarze Lavasteine, die in den Wellen hin- und herkullern. Weil die Begleitung durch Bergführer bei der Stromboliwanderung Pflicht ist, haben wir uns für morgen in der Diving-Station angemeldet. Am Nachmittag soll die Wanderung zum Vulkan losgehen. Wir setzen uns in eine Pizzeria mit Terrasse und Meerblick. Angela bestellt „Pizza Stromboli“ und bekommt einen lustigen Berg.
7. Tag
Am Vormittag bringt das Schlauchboot tatsächlich unser Ankergeschirr. Wir lassen die Kette in den Ankerkasten rutschen und winschen den Anker hoch. Schnell ist es Nachmittag und der Rucksack wird gepackt. Der Stromboligipfel „Pizzo sopra la Fossa“ liegt 918 m über dem Meeresspiegel. Mindestens ein Liter Trinkwasser wird für die Tour benötigt, besser ist etwas mehr. Das Abendbrot fällt heute aus. Was zum Knabbern sollte deshalb mitgenommen werden. Der Abstieg erfolgt bei völliger Dunkelheit. Die Stirnlampe muss mit. Auch lange Hosen und eine Jacke sind zweckmäßig, denn nach Sonnenuntergang wird es auf den Gipfel kühl. Die Wanderschuhe um den Hals gehängt, steigen wir ins Dingi und setzen zur Insel über.
Die Diving Station kassiert 25 €. Dafür bekommt man Schutzhelm, Staubfilter, eine Schutzbrille und einen gemeinsamen Führer. Zuerst üben wir marschieren im Gänsemarsch. Wer aus der Reihe tanzt, wird zurechtgewiesen. Der Aufstieg führt in Kehren durch Geröllfelder, im letzten Teil durch Vulkanasche. Kondition ist erforderlich, um Schritt zu halten. Ich habe es nicht bereut, meine Wanderstöcke mitzunehmen. Gegen 22 Uhr haben wir die 900m Höhenmeter bewältigt und stehen geschafft auf dem Gipfel des Stromboli. Drei Krater, die sich unterhalb vom Hauptgipfel befinden, sind ständig aktiv. Sie spucken in Abständen Rauch, Dämpfe und Lava aus. Von hier oben hat man einen imposanten Blick in den Bauch der Erde.
Manchmal ist die Explosion lauter als naher Gewitterdonner. Ein andermal zischte es nur. Es ist stockfinster geworden. Das Grollen der Erde und der Ascheregen sind in der Dunkelheit unheimlich und beeindruckend zugleich. Unsere Gruppe sammelt sich zum Abstieg. Wenn wir gegen Mitternacht unten sein wollen, müssen wir fast fliegen, denke ich. Vom Boot aus haben wir gestern Nacht vom Gipfel kommende Gruppen gesehen. Mit ihren eingeschalteten Stirnlampen sahen die Wanderer wie Glühwürmchen aus.
Wir müssen die Staubschutzmasken aufsetzen. Die letzte Möglichkeit die Jacken auszuziehen, raunt es durch die Gruppe. Noch war mir kühl und ich sah keine Veranlassung dazu. Der Abstieg führt durch ein steiles Vulkanaschefeld. Ich konnte nichts mehr sehen. Der Staub war so dicht, dass man nur mit Mühe seinen Vordermann ausmachen konnte. Rechts und links war nichts erkennbar. Asche lief in meine Wanderschuhe, worauf sich ein betonartiges Gefühl an den Füßen einstellte. Keine Chance stehen zu bleiben, um die Schuhe zu leeren. Mitten im Ascheweg traten große Steine hervor. Hier wurde die geradlinige Abwärtsbewegung der Gruppe umgelenkt. Nach gefühlt einer Stunde gibt es die erste Verschnaufpause. Mit einem Schluck Wasser spüle ich den Staub im Mund weg. Ich konnte nicht wissen, das ich mir das mühevolle Leeren der Schuhe hätte sparen können. Das Aschefeld war lange noch nicht überwunden. Und so geht es im Staubnebel weiter abwärts. Kurz nach Mitternacht haben wir den Abstieg geschafft und sind wieder in San Vincenco.
Gut, dass wir die Schiffsbeleuchtung beim Weggehen eingeschaltet haben. So können wir „Giorgina“ schnell finden. Die Beleuchtung an Bord wird dunkler. Der Motor muss die Batterie laden. Während unserer Abwesenheit ist die Toilette übergelaufen. Eine Dichtung hat nachgegeben. Die Toilette muss abgepumpt, das Bad gereinigt und desinfiziert werden.
8. Tag
Der Vulkan verabschiedet sich mit Salut-Eruptionen. Salina ist unser nächstes Etappenziel. Bei schwachem Wind treibt uns der Motor voran. Gegen 18:30 Uhr erreichen wir den Fischereihafen „Banchina Di Riva“.
Der Wetterbericht meldet für Montagabend Wind über 24 kn. Das ist die Nacht, in der wir den Schlag nach Ustica segeln wollen. Die Wünsche der Crew sind divergent. Dana möchte die Grotte auf Filicudi sehen, Angela will nach Palermo. Wir vertagen die Diskussion und machen uns fein fürs Abendessen. Wieder einmal landen wir in einer Pizzeria. Zurück im Hafen finden wir unsere Yacht eingekeilt zwischen riesigen Affenfelsen.
9. Tag
Im aktuellen Wetterbericht wird für Montagnacht nun steifer Wind mit 30 kn vorhergesagt. Da sollten wir in einem sicheren Hafen sein. Zum nächsten Zielort gibt es immer noch verschiedene Meinungen. Ustica ist mangels Zeit nicht erreichbar. Palermo und Cefalu erfordern eine Nachtfahrt. Heute auf der Inselwelt bleiben, bedeutet Palermo aufzugeben.
Am Vormittag geht es in Richtung Filicudi weiter. Wir ankern vor einer Strandbar. Das späte Mittagessen ist unser Abendbrot. Die Winsch zieht den Anker, der zwischen großen Steinen versackt ist, hoch. Wir wollen die im Reiseführer angepriesene „Grotta del Bue Marino” besuchen. Die Höhle ist unspektakulär. Palermo liegt 55 Seemeilen entfernt auf Kurs 240°. Ein schwacher Wind kommt aus WSW. Um 21 Uhr setzt starker Seegang ein. Wir laufen unter Motor. Wetterleuchten und Regen begleiten uns. Erst am frühen Morgen wird das Gewitter schwächer.
10. Tag
Zusammen mit dem Kreuzfahrtschiff „AIDAbella“ laufen wir in Palermo ein. In der Yachtwerft finden wir einen freien Platz. Müde krabbeln wir in die Kojen. Mit zwei Taxis geht’s zum Monte Pellegrino. Dort besuchen wir die Kapelle „Heilige Rosalie“. Die Taxis setzen uns im Zentrum von Palermo ab. Wir laben uns an Capuccino und Eis. Palermo ist eine quirlige Stadt mit vielen historischen Gebäuden. Um halb neun wollen wir uns zum Abendessen am „Piazza San Dominico“ treffen.
11. Tag
Wir erkunden Palermo und besuchen die „Le Catacombe die Cappucini“. Unter den Toten, die dort mumifiziert aufbewahrt werden, befindet sich der Leichnam der fast zweijährigen Rosalia Lombardo, die am 6. Januar 1920 an der Spanischen Grippe starb. Das Mädchen sieht aus, als ob sie jeden Moment aus ihrem Schlaf erwacht. Die Autos haben viele Beulen und fahren auch bei rot. Motorräder und Vespas springen in jede Lücke. Beim Queren der Fußgängerüberwege sowie an den Ampeln muss man als Fußgänger sehr aufpassen. Bei allem Durcheinander herrscht jedoch eine gewisse Rücksichtnahme. Mich überrascht, dass der Verkehr trotz alledem fließt. Fußlahm kommen wir zu Giorgina zurück.
12. Tag
Gegen 9 Uhr legen wir in Palermo ab. Der Wind ist schwach. Unterwegs spielt die Borddisko. Um 15:30 Uhr erreichen wir Cefalu, ein symphatisches Städtchen mit vielen kleinen Geschäften, engen Gassen und langem Badestrand. Wir treffen Katharina mit ihren Kindern, Aurora und Guiseppe, die in Berlin eine Pizzeria betreiben und ihren Urlaub in der Heimat verbringen.
13. Tag
Die Marina hat keine sanitäre Anlagen. Gewaschen wird an der Heckdusche. Wir wandern zum Castell und dort auf den Grundmauern einmal herum. Von oben hat man eine ausgezeichnete Sicht auf die Stadt und das Meer. Bei schwachem Wind arbeitet der Motor. Um 20:50 Uhr fällt im Hafenbecken von „Cabo d Orlando” der Anker. Die Sonne geht glutrot unter. Weiter westlich haben sich oberhalb der Berge kleine Wolken gebildet. Jürgen kocht „Spaghetti a la Reste“ – die Soße schmeckt köstlich.
14. Tag
Windstärke 3 NW, wir segeln in Richtung Porto Rosa. Bine hat Geburtstag. Die Mannschaft singt ein Ständchen. Zum Mittag gibt es „Spaghetti a la Kompost“.
15. Tag
6:30 Uhr aufstehen, Sachen packen und frühstücken. Die Reisetaschen liegen schon in der brütenden Sonne. Um halb zehn müssen auch wir das Schiff verlassen. Ein Teil der Mannschaft geht ein letztes mal im Meer baden. Zwei spannende Wochen liegen hinter uns. Haie haben wir keine gefangen. Wie auch, ohne Angel.
Chronist: Horst Hanisch