Die Havelseen – nah und doch sehr reizvoll
Mit einem 22-ft Kielschwerter einhand 2 Wochen über Berliner Gewässer
Kaum dass die 20h-Wettfahrt eine Woche her ist, ergab sich spontan die Möglichkeit 2 Wochen Urlaub zu nehmen. Die Wettervorhersage war tendenziell gut und so setzte ich meinen Plan, die mir bisher zumindest von der Wasserseite her unbekannten Seen im Westteil der Stadt sowie die Potsdamer Gewässer auf eigenem Kiel zu erkunden, in die Tat um. Diese Kurzfristigkeit war es auch, die mir am meisten Unbehagen bereitete.
Einen groben Plan bzgl. der Fahrtroute hatte ich, die Gewässerkarte gab Hinweise auf mögliche Liegeplätze und ein Dach über dem Kopf habe ich in meiner Ypton 22 sowieso immer dabei. Da ich mich auch immer in Reichweite urbanem Lebens aufhalten würde, musste ich auch nicht befürchten, zu verhungern oder einen notwendigen Schluck Benzin nicht zu bekommen.
Ich werde den größten Teil der Reise einhand unterwegs sein. Deswegen sorgte ich mich eher darum, wie ich wohl Schleusen und ggf. knifflige Anlege- und Ablegemanöver in fremden Häfen ohne peinliche und Schäden verursachende Missgeschicke absolvieren werde.
Start
Die Sonne lacht vom Himmel und eine Autoladung voll Krimskrams wird am Vormittag im Boot verstaut. Das Mastlegen und Aufklaren der Wanten und Stagen macht in Anbetracht der bevorstehenden Reise sogar richtig Spaß. Da meine Fahrt mitten durch das Herz von Berlin geht, gebe ich mir besonders viel Mühe. Mit meinem Werk bin ich schon zur Mittagszeit sehr zufrieden und grundsätzlich klar zum Auslaufen.
Am Kopf des Vereinssteges übe ich noch ein paar Anlegemanöver. Mein Plan, das Boot zuerst immer mittschiffs an einer, meine fehlende Mittelklampe ersetzenden Relingstütze anzubinden, scheint zu funktionieren. Auf geht’s.
Bereits gegen 15 Uhr erreiche ich den Sportbootsteg der Mühlendammschleuse. Der Schleusenmeister erlaubt mir, sofern ich den Betrieb nicht störe, bis 19 Uhr dort liegen zu bleiben. Der Nachmittag vergeht schnell, nicht zuletzt auch wegen meiner Anspannung, eine der meistfrequentierten Schleusen Deutschlands havariefrei zu passieren. Punkt 19 Uhr fahre ich nach Anmeldung beim Schleusenmeister als einziges Fahrzeug in die Schleusenkammer. Die Schleusung klappt problemlos und gibt mir Mut für die folgenden Schleusen. Die anschließende Fahrt durch das Zentrum Berlins ist wunderbar. Am Ufer sitzen zahllose Menschen und genießen den warmen Sommerabend. An diesem Tag endet die Fahrt an einer öffentlichen Liegestelle in Charlottenburg. Vom Boot aus habe ich da einen Blick auf mein Bürofenster und freue mich schon auf die neidischen Blicke der Kollegen am kommenden Morgen.
Die folgenden Tage
Na ja, man schläft so lala an einem öffentlichen Liegeplatz. Irgendwann am frühen Morgen saust schon ein Bunkerschiff vorbei und die an der Spundwand reflektierenden Wellen werfen mich fast aus der Koje. Allerdings bleibt das die einzige Nacht an einem solchen Liegeplatz. Die nachfolgenden Nächte verbringe ich allesamt in anderen Segelvereinen bzw. in öffentlichen Marinas. Die Erfahrungen dabei sind durchweg positiv. Die Aufnahme ist mal professionell oder auch hemdsärmelig, überall aber freundlich und unkompliziert.
Am 2. Tag wird nach der Passage des Berlin-Spandauer Schifffahrtskanals endlich der Mast wieder gestellt und der Tegeler See ersegelt. Wer wie ich, auf einem Gewässer mit großer freier Wasserfläche zu Hause ist, hat so seine liebe Mühe mit diesem See. Die vielen Inseln erzeugen gewöhnungsbedürftige Winde und man hat an schwachwindigen Tagen, wie ich sie erlebt habe, mit ständiger Segelarbeit zu tun. Als Einhandsegler ist das mit zwei Segeln immer sehr mühevoll. Der nördlichste Punkt meiner Reise ist der flache Nordzipfel des Nieder-Neuendorfer Sees. Für mich spannend ist hier insbesondere, dass die einstmals deutsche Teilung durch die noch vorhandenen Wachtürme immer noch sichtbar ist und der Verkehr durch die Berufsschifffahrt ständige Aufmerksamkeit und manchmal ungewollte Manöver verursacht.
Die folgenden Tage vergehen bei wechselndem aber meist schönem und windarmem Wetter. So komme ich auch mal dazu das Boot vom Autopiloten steuern zu lassen und dabei während eines kurzen Regenschauers gemütlich trocken in der Kajüte zu sitzen und nach draußen zu schauen. Oder ich hole den Kocher raus und koche mir Kaffee oder ein kleines Mittagessen während das Boot unter Segeln bei einer leichten Brise vorankommt.
Die Ypton segelt auf diese Art und Weise über die Ober- und Unterhavel, über den Wannsee und schließlich über die Potsdamer Seen bis nach Werder. Als Wendepunkt meiner Reise wird eine Havelkurve auserkoren, die sich kurz vor dem Göttinsee hinter Werder befindet. Pinne rum und dann geht es zurück nach Hause.
Tagsüber ist während des gemächlichen Wasserwanderns auch immer mal Zeit für ein erfrischendes Bad oder auch eine Pause. Nach dem Anlegen erlaufe ich mir meist die nähere Umgebung der Liegeplätze und entdecke dabei das eine oder andere schöne Restaurant fürs Abendessen. Ansonsten bieten die Supermärkte Nachschub für die Bootsküche und dann ist’s meist nicht so opulent.
Auf dem Rückweg gibt’s dann doch noch mal richtig was auf die Mütze. Beim Mastlegen vor einer Straßenbrücke zieht ein Gewitter vorüber und bringt ordentlich Sturmböen. Die Fahrgäste eines vorbeifahrenden Flusskreuzfahrtschiffes werden wahrscheinlich gespannt gewesen sein ob der Wind oder ich gewinne. Ich war’s letztlich. Bevor mich der stürmische Wind gegen Brücke oder das Ufer drücken konnte waren die Mastlegearbeiten beendet und ich konnte die Brücke problemlos passieren. Danach habe ich allerdings den Anker geworfen und den abflauenden Regen mit einem kleinen Nickerchen verpasst. Als ich die Augen wieder aufschlage, lacht die Sonne durchs Kajütfenster und macht Lust aufs Weiterfahren.
Heimweg
Für die Rückreise wähle ich die Route über den Teltowkanal. Beim Segelverein Potsdamer Adler wird der Mast wieder gelegt und alles für die Motorfahrt durch die Stadt vorbereitet. Dabei begleitet mich feiner Regen, der auch den halben Tag bis zur Passage der Schleuse in Kleinmachnow anhalten wird.
Die Passage dieser Schleuse wird mir ewig in Erinnerung bleiben. Zuerst geht die Schleusenkammer, in die ich zusammen mit einem großen Motorboot eingewiesen werde, kaputt und wir müssen wieder hinaus. Nach einiger Wartezeit öffnet die andere Scheusenkammer für uns nachdem ein großes Motorgüterschiff bereits hineingefahren ist. Der Platz zwischen dem Heck des Schiffes und dem Untertor der Schleuse ist sehr gering. Meine Sorge, dass das Schraubenwasser des ausfahrenden Schiffes mich beim Festhalten überfordern könnte, bestätigt sich zum Glück nicht. Fünf Mal habe ich bei dieser Schleusenpassage die Fender und Anlegeleinen von Backbord nach Steuerbord umgebaut da sich die Bedingungen ständig geändert haben.
Die anschließende Kanalfahrt bis zum Tempelhofer Hafen ist gar nicht so eintönig wie oftmals berichtet wird. Industrie wechselt mit Grün, Menschen angeln, küssen sich und irgendwo machen Schüler Hausaufgaben oder rauchen heimlich. Vom Wasser ergibt sich ein anderer Blick auf die Stadt. Gerade auch hier sieht man manchmal Parallelwelten. Obdachlose Menschen errichten sich ein kleines „eigenes“ Reich an Uferböschungen oder unter Brücken.
Auch der Geruch und die Qualität des Wassers wechseln und je weiter man in Richtung Stadt vorankommt, nehmen sie zumindest subjektiv ab.
Das Tagesziel, der Hafen Tempelhof, ist ein besonderes Highlight. Nach nahezu 2 Wochen Idylle in Natur und relativer Ruhe, ein richtiger Kulturschock. Plötzlich befinde ich mich wieder inmitten vieler Menschen, es geht lebendig im und um den Hafen herum zu. Abends wird auf einer Leinwand ein Fußballspiel der EM übertragen und ich sitze sozusagen in der ersten Reihe.
Während der darauffolgenden Rückfahrt zum SCW stellt sich beinahe Traurigkeit ein, dass das Leben auf dem Wasser nun schon wieder zu Ende sein soll.
Nicht unerwähnt soll noch bleiben, dass ich etappenweise von lieben Mitfahrern begleitet wurde, denen ich für ihre Gesellschaft sehr dankbar bin.
Auf ein Neues in 2017.
Claudius Geese